„Wenn nun der Wallraf stirbt, wer wird denn dann
der Wallraf ?“ – ein Prolog

Elisabeth Schläwe / Sebastian Schlinkheider

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Als der Kölner Sammler Ferdinand Franz Wallraf am 20. Juli 1823 sein 75. Lebensjahr vollendete, hatte er zweifellos den Zenit seiner öffentlichen Wertschätzung erreicht. Es ist leicht vorstellbar, dass Wallraf diesen aufwendig ausgerichteten Ehrentag sehr genossen hat. Schließlich wurde nicht nur sein Geburtstag in der Stadt begangen – zugleich feierte Wallraf das fünfzigjährige Jubiläum seiner Priesterweihe und seiner öffentlichen Lehrtätigkeit. Viele Darstellungen schildern ausführlicher den Ablauf dieser „Jubelfeier, wie die Stadt Köln sie weder vorher noch nachher einem ihrer Bürger bereitet hat“[1].

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Folgt man den hymnenhaften und deutlich emotionalisierten Ausführungen des frühen Wallraf-Biographen Wilhelm Smets (1796–1848), muss man sich den Tag als Ereignis epochaler Größe vorstellen: „Das Jubelfest Wallraf’s wurde auf den 20. Julius 1823 festgesetzt und der allgefeierte Jubelgreis einige Tage vorher von dieser Veranstaltung im Allgemeinen benachrichtigt. Der Tag erschien; wie ein Blitz zuckte seine Bedeutung durch alle Klassen des Volkes, und was in der Stille jeder seinem Wirkungskreise gemäß bereitet hatte, trat nun in That und Leben hervor und der Tag wurde, wie das so die Natur der Sache mit sich brachte, im vollen und wahren Sinne des Wortes, ein Volksfest.[2] Joachim Deeters ergänzt: „Die Feier wurde in der Tat ein kleines Volksfest: Abends waren viele Häuser illuminiert und in manchen Fenstern stand Wallrafs bekränzte Büste. Die zu Ehren Wallrafs vorgetragenen Gesänge wurden veröffentlicht, und die Zeitungen druckten noch weitere Huldigungsgedichte ab[3], der ‚Welt- und Staatsbote‘ sogar die Zeichnung eines Denkmals in Form eines antiken Altars mit einer Inschrift, wie Wallraf es liebte.“[4]

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Wallraf wurde mit weiteren Geschenken und Ehrenbekundungen überhäuft, wozu ein „äußerst kunstreich geschnitzter elfenbeinerner Pokal […], mit kostbarem Rheinweine bis zum Rande gefüllt“[5] ebenso gehörte wie die Verleihung dreier Kränze – einem „Eichenkranz als Bürgerkrone“ sowie dem „Lorbeer- und dem Blumenkranz“.[6] Ein zentrales Element der Feierlichkeiten war aber ein regelrechter „Triumphzug[7], der sich vom Rathaus ausgehend durch die Innenstadt bewegte und Wallraf am Domhof abholte.[8] Smets schildert eindrücklich auch die Nähe der Kölner Mitbürger zum mittlerweile betagten Sammler: „Da pochten tausend Herzen zugleich dem Jubelgreise entgegen, jede Wange röthete sich vor Theilnahme, häufige Thränen flossen, Alles hob sich auf den Zehenspitzen empor, Tücher weheten, Hände streckten sich dem Kunst-Rektor, dem Jubelpriester und Lehrer entgegen. Und er selbst, überrascht, erfreut, dankend, weinend und Gott die Ehre gebend, winkte nach allen Seiten hin, hob sein Auge zum Himmel empor und that sich Gewalt an, daß ihn dieser Drang der Gefühle nicht überwältigte.[9] Bei den Feierlichkeiten fiel dann auch, nach Smets recht unvermutet, die im Titel zitierte Frage: „Auch bei dieser Gelegenheit erwiesen sich manche unvorbereitete Aeußerungen aus dem Munde des Volkes höchst originell und treffend. So fragte, während der Zug vom Rathhause nach Wallraf’s Wohnung sich in Bewegung setzte, ein Bürger den andern ganz naiv: ‚Wenn nun der Wallraf stirbt, wer wird dann der Wallraf?‘ gleichsam, als wenn er sich von der Einsicht, daß ein solcher Mann für Köln müsse ersetzt werden, und doch auch unersetzbar sey, nicht hätte trennen können.[10]

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Smets zufolge bewirkte die Freude Wallrafs über den gelungenen Festtag wahre Wunder: „Ein lange nachhallendes Vivat tönte noch zu ihm hinauf, bis der Schlummer – und wie süß muß dieser gewesen seyn! – ihn in seine Arme nahm. Als ein Verjüngter zeigte sich Wallraf nach diesem großen, schönen Akte der allgemeinen Anerkennung seiner Verdienste um die gefeierte Vaterstadt. Das freudige Gefühl der Erinnerung, so viel für sein Köln gethan zu haben, daß er sich solchen Lohn verdiente, mußte unwillkürlich in ihm aufsteigen und diese Verjüngung bewirken.[11] In diesen Zitaten ist klar erkennbar, dass Smets sich in seiner Darstellung keineswegs um Nüchternheit bemühte, sondern vielmehr eine ausdrückliche Denkmal-Absicht fast bis hin zur Apotheose Wallrafs verfolgte. Dennoch wird hier ein wichtiger und nachvollziehbarer Punkt unterstrichen: So deutlich die Feierlichkeiten allen mitunter kritischen Stimmen zum Trotz Wallrafs Bedeutung als feste „Institution“[12] seiner Heimatstadt illustrierten, gab es für Wallraf zweifellos einen weiteren Anlass, mit großer innerer Freude und Erleichterung einen Blick zurück zu werfen: Es war nun fast fünf Jahre her, dass die Stadt Köln sein drittes und endgültiges Testament vom 9. Mai 1818 akzeptiert hatte. Damit hatten Wallrafs langwierige und komplizierte Bemühungen ein Ende gefunden, die zusammengetragenen Bestände seines Sammlerlebens in zuverlässige und öffentliche Hände zu geben. Nach allem, was wir wissen, muss Wallraf über diesen Schritt wirklich erleichtert gewesen sein.[13]

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Die vorliegende Online-Publikation – pünktlich zum 200. Jubiläum der Testamentsausstellung und somit gewissermaßen im „Wallraf-Jahr“ 2018 veröffentlicht – möchte vor genau diesem Hintergrund zweierlei: Zum einen soll „Wallrafs Wille“, angefangen bei seinem ersten Testament aus dem Jahr 1783 bis hin zum Testament von 1818 und der Annahme durch die Stadt, näher betrachtet werden. Die Tatsache, dass Wallraf drei Testamente hinterlassen hat, ist zwar innerhalb der Forschung bekannt – viel mehr als eine Randnotiz ist diesem Umstand aber bisher kaum gewidmet worden.[14] Daher sollen nun erstmals die drei Versionen in Einzelbeiträgen ausführlicher vorgestellt und abschließend miteinander verglichen werden. Ergänzt werden die Beiträge um Hintergrundbetrachtungen zu der häufig wenig beleuchteten Familie Wallrafs einerseits und den bereits erwähnten langjährigen Verhandlungen zur Veräußerung der Sammlung andererseits.

Wallrafs erstes Testament 1783

Bildnachweis: HAStK, Best. 1105, A 27, gemeinfrei

Wallrafs zweites Testament 1816

Bildnachweis: HAStK, Best. 1105, A 27, gemeinfrei

Wallrafs drittes Testament 1818

Bildnachweis: HAStK, Best. 1105, A 27, gemeinfrei

Schenkungsannahme durch die Stadt Köln, Mai 1818, Prunkausfertigung
Bildnachweis: HAStK, Best. 1105, A 24A, fol. 37r, gemeinfrei

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In einem zweiten Schritt steht „Wallrafs Wirkung“ im Fokus. Ausgehend von Wallrafs Tod am 18. März 1824 und den sich anschließenden Begräbnisfeierlichkeiten werden die unmittelbaren Reaktionen der Zeitgenossen auf sein Ableben beleuchtet, die seine hohe Bedeutung in der Öffentlichkeit unterstreichen. Außerdem widmen sich einzelne Beiträge ausdrücklich den Tätigkeiten der Testamentsexekutoren und Wallrafs Vorstellungen zur öffentlichen Ausstellung der Sammlung bis hin zur Einrichtung des Wallrafianums als erstem kölnischen Museum nach seinem Tod.

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Neben den wissenschaftlichen Beiträgen soll das Quellenkarussell dazu einladen, die originale Überlieferung aus Wallrafs Zeit selbst zu erkunden: Dort steht ein Großteil der verwendeten Quellen in Form hochauflösender Digitalisate als Anschauungsmaterial zur freien Verfügung. Um den Zugang zu erleichtern, sind fast alle Materialien durch zeilengenaue Transkriptionen oder, falls nötig, Übersetzungen erschlossen. Als Quellengrundlage der Beiträge dient vor allem der Nachlass Wallrafs, der im Historischen Archiv der Stadt Köln (HAStK) unter der Bestandsnummer 1105 zu finden ist. Den Kern bilden die drei Testamentsversionen sowie die Annahme der Schenkung durch die Stadt aus dem Jahr 1818. Flankiert werden diese Akten dabei sowohl durch weitere Quellen aus dem Nachlass Wallrafs, wie unter anderem die Akten zur Familie oder zu den Tätigkeiten der Testamentsexekutoren, als auch Akten aus den Beständen 608 (Kulturdezernat) und 610 (Wallraf-Richartz-Museum). Zudem wurden Artikel der Kölnischen Zeitung und der zeitgenössischen Zeitschrift Agrippina herangezogen. Zur besseren Unterscheidung sind im Gegenssatz zu Zitaten aus der Forschungsliteratur die zitierten Passagen aus zeitgenössischen Quellen kursiv formatiert.


Anmerkungen

[1] Joachim Deeters (Bearb.), Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975 (Ausstellungskatalog), Köln 1974, S. 106.

[2] Wilhelm Smets, Ferdinand Franz Wallraf. Ein biographisch-panegyrischer Entwurf, Köln 1825, S. 74.

[3] Vgl. etwa Beiblatt der Kölnischen Zeitung, Ausgaben Nr. 14 vom 20. Juli 1823 und Nr. 15 vom 10. August 1823.

[4] Deeters, Ausstellung (wie Anm. 1), S. 106.

[5] Smets, Wallraf (wie Anm. 2), S. 78.

[6] Deeters, Ausstellung (wie Anm. 1), S. 106. Vgl. Smets, Wallraf (wie Anm. 2), S. 75.

[7] Smets, Wallraf (wie Anm. 2), S. 79.

[8] Ebd., S. 75.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S. 80.

[11] Ebd.

[12] Elga Böhm, Was ist aus Wallrafs Sammlung geworden?, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 36 (1974), S. 229–272, hier: S. 241. Vgl. auch Deeters, Ausstellung (wie Anm. 1), S. 95: „All die Gleichgültigkeit, die Behinderungen und der Undank, den Wallraf wiederholt von seinen Mitbürgern hatte erfahren müssen, wurden durch sie abgegolten. In Wallraf feierte Köln seine eigene ruhmreiche Vergangenheit, die der Stadt erst durch den Gefeierten bewußt geworden war, und an der sie sich in der neuen, unfreundlichen preußischen Gegenwart aufrichtete.“

[13] Vgl. dazu auch Wallrafs Danksagung in der Kölnischen Zeitung: „Möchte mir vergönnt seyn, in demselben Maße, womit meine Vaterstadt bei dieser Gelegenheit ihr Wohlwollen gegen meine Person aussprach, zur Erweiterung ihres Ruhmes und zur Anerkennung ihrer alten Würde beitragen zu können; so würde, meine mit manchen Aufopferungen verknüpfte Laufbahn mit jugendlicher Kraft von neuem zu beginnen, mein aufrichtigster, innigster Wunsch seyn.“ Kölnische Zeitung, Nr. 120, 29. Juli 1823, abgedruckt auch bei Smets, Wallraf (wie Anm. 2), S. 80.

[14] Eine der seltenen Ausnahmen bildet Bianca Thierhoff, Ferdinand Franz Wallraf – Ein Sammler des „pädagogischen Zeitalters“, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, S. 389–406, hier: S. 399f.

Empfohlene Zitierweise
Elisabeth Schläwe / Sebastian Schlinkheider, "Wenn nun der Wallraf stirbt, wer wird denn dann der Wallraf ?" – ein Prolog, aus: Dies., Letzter Wille mit großer Wirkung – Die Testamente Ferdinand Franz Wallrafs (1748–1824) (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00003), in: mapublishing, 2018, Seitentitel: Prolog (Datum des letzten Besuchs).