„Zu ewigen Tagen“ – Wallrafs endgültiges Testament
vom 9. Mai 1818

Elisabeth Schläwe

Bildnis Wallraf (1819), Karl Begas (d. Ä.) – das Porträt entstand nur ein Jahr nach Wallrafs drittem Testament
Bildnachweis: Rheinisches Bildarchiv Köln, WRM Z 01292, Reproduktions-Nr: wrm_z0000481

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Es ist der 9. Mai 1818. „Morgens gegen neun Uhr[1] versammelt sich eine Gruppe von 15 Männern[2] in einem Haus „am Hofe (Universitäts Strasse, No 1. 2570)[3], genauer gesagt im „Schlafzimmer im ersten Stocke Straßenwerts[4]. Der Anlass dieser Zusammenkunft prägt das kulturelle Leben der Stadt Köln bis in die heutige Zeit: Der fast 70-jährige Wallraf hat Freunde und Vertraute zu sich kommen lassen, um seinen letzten Willen zu verkünden. Wohl aus dem Krankenbett diktiert er den bekanntesten Paragraphen seines Testaments: „9 Zur Erbin meines sämtlichen Nachlasses er bestehe, worin er immer wolle, setze ich die Stadt und Gemeinde Köln, meine Vaterstadt, ein, und zwarn unter der ausdrücklichen unnachläßiger Bedingung, daß meine Kunst-Mineralien-Mahlerei-Kupferstich- und Bücher-Sammlung zu ewigen Tagen bey dieser Stadt und Gemeinde zum Nutzen der Kunst und Wissenschaft verbleiben, derselben erhalten und unter keinem erdenklichen Vorwande veräußert, anderswo verlegt, aufgestellt und derselben entzogen werden soll.“[5]

Die wohl bekannteste Passage in Wallrafs drittem Testament: Die Einsetzung der Stadt als Erbin
Bildnachweis: HAStK, Best. 1105, A 27, fol. 31r, gemeinfrei

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So weit, so bekannt – Wallraf überlässt der Stadt Köln seine umfangreiche Sammlung von Kunst- und Kulturgegenständen, die zum Schluss einen Umfang von fast 80.000 Objekten haben sollte.[6] Bildet Paragraph 9 des Testaments ohne jeden Widerspruch den Kern des Dokuments, so kann man jedoch nicht außer Acht lassen, dass Wallrafs (aller)letzter Wille aus insgesamt 14 Absätzen besteht. Unmittelbar mit seiner Sammlung beschäftigen sich neben dem vielzitierten Abschnitt 9 auch die fünf folgenden. Darin legte Wallraf fest, auf welche Weise seine Sammlung verwaltet werden soll und wie mit ihr zu verfahren sei. Dazu gehört die Einrichtung eines „dazu passenden Orte[s]“, eines Museums, in dem die Gegenstände „geordnet, aufgestellt und aufbewahrt werden[7]. Darüber hinaus sollte ein „Aufseher über die ganze Sammlung“ wachen, dem zu diesem Zweck ein „angemessenes Salar“ zu vergüten sei.[8] Außerdem erklärt der Nachlassgeber, wer über die rechtmäßige Ausführung und den ordnungsgemäßen Umgang mit seinem Erbe wachen sollte: Zu seinen Testamentsexekutoren bestellt er neben den hauptverantwortlichen Marcus Dumont (1784–1831) und Johann Laurenz Firmenich, auch Stadtrat Franz von Herwegh (1773–1848), Eberhard von Groote (1789–1864), Johann Jakob Peter Fuchs (1782–1857) und Mathias Joseph de Noël (1782–1849).[9] All diese Bestimmungen haben im Rahmen der Beschäftigung mit Wallraf bereits Beachtung gefunden.[10] Ergänzen könnte man an dieser Stelle lediglich, dass Wallraf zunächst auch den Maler Max Heinrich Fuchs (1767–1846) mit aufgezählt hatte, den er bereits im zweiten Testament anführt. Sein Name wurde jedoch wieder gestrichen[11] und er übte auch keine Funktion innerhalb der Testamentsexekution aus.

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Die ersten acht Paragraphen seiner letztwilligen Verfügung sind bisher jedoch kaum behandelt worden. Wie es üblich war, legte auch Wallraf fest, wie seine Beerdigung gestaltet werden sollte. Im ersten Absatz verweist er auf seine Testamentsvollzieher, die er offenbar an anderer Stelle schon über seine Wünsche informiert hatte.[12] Paragraph 2 erklärte im Anschluss daran, dass nur das vorliegende Testament Gültigkeit habe. Sein erstes, formales Testament von 1783 und das besonders umfangreiche und nicht über den handschriftlichen Entwurf weiter verfolgte zweite Testament aus dem Jahre 1816 verloren somit ausdrücklich ihre Relevanz.[13]

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Die restlichen Absätze, die somit die Hälfte aller Abschnitte bilden, behandeln die Versorgung von Wallrafs Familie. Waren in seinem ersten Testament noch seine Eltern als Erben eingesetzt worden, kümmerte sich Wallraf in seinem dritten Willen um die Versorgung seiner Schwester Caecilia, deren Mann Caspar Alexius sowie der sechs Kinder des Paares. Wie schon in seinem zweiten Testament wollte Wallraf aller innerfamiliären Konflikte zum Trotz für ein angemessenes Auskommen seiner Verwandten sorgen.[14] Interessant ist dabei, dass er in einem Entwurf des letzten Testaments in Erwägung gezogen hatte, diese Paragraphen an anderer Stelle zu platzieren. Dort wäre bereits an dritter Stelle die Stadt als Erbin eingesetzt worden. Nach der Einleitung „Vorstehende Erbeinsetzung geschieht indessen unter folgenden Lasten und Bedingungen“ wären dann die Bestimmungen zu seiner Familie gefolgt, die sich inhaltlich aber nicht von der endgültigen Fassung unterschieden hätten.[15]

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Zunächst kommt er auf seine Schwester Caecilia zu sprechen. Diese sollte „im hiesigen bürgerlichen Hospital lebenslänglich anständig versorgt werden […].“ So „anständig“, dass sie „den Tisch erster Classe“ erhalten sollte, den sie aber auf ihrem Zimmer zu sich nehmen müsse. Außerdem versprach er ihr ein Taschengeld von 5 kölnischen Reichstalern pro Monat.[16] Ihr Mann Caspar Alexius lebte zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht mehr in Köln. Unter Paragraph 4 lässt Wallraf festlegen, dass sein Schwager und die Kinder Caspar und Elisabeth weiterhin und für den Rest ihres Lebens „in der Brauweiler Anstalt“ unterhalten werden sollten. Auch Ferdinand und Maria Anna Alexius könnten dort auf Verpflegung hoffen, „wenn diese sich bequemen wollen, dort ihr Leben zuzubringen.“[17]

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Zwei Nachkommen seiner Schwester stattete er auf andere Weise aus. Ein Unterschied ist auch in der Form festzumachen: Sowohl Antoinetta als auch Wolter Alexius werden jeweils in einem eigenen Absatz ausführlich behandelt. Schon die Bezeichnung des Verwandtschaftsgrades fällt anders aus als bei den vorher erwähnten Nichten und Neffen. Antoinetta ist seine „Schwester-Tochter“ und Wolter sein „Schwester-Sohn“.[18] Wallrafs unterschiedliche „Titulierungen“ an dieser Stelle sind bemerkenswert und stehen für eine innigere Beziehung zu diesen beiden Kindern, die nicht zuletzt dadurch belegt wird, dass er seinen Neffen Wolter bei sich aufgenommen hatte.

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Für die beiden „Schwester-Kinder“ fiel die jährliche Versorgung wesentlich höher aus. Antoinetta standen pro Jahr 100 Reichstaler zu, die ihr zu je 25 Reichstalern im Quartal ausgezahlt werden sollten. Auch für den Fall, dass sie unverheiratet blieb oder als Witwe ihre Kinder versorgen müsste[19], legte Wallraf jährliche Zahlungen fest.[20] Wolter Alexius sollte gar 300 kölnische Reichstaler erhalten, die ihm ebenfalls vierteljährlich zu je 75 Reichstalern zur Verfügung gestellt werden sollten.[21] Zu guter Letzt bedachte Wallraf auch die „Wittwe Mungersdorff“, wohl seine Haushälterin, mit 50 kölnischen Reichstalern und legte nahe, sie „in einem der hiesigen Conventen“ aufzunehmen.[22]

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Der letzte Paragraph, der die Versorgung seiner Angehörigen regelte – Paragraph 8 –, bestimmte, dass diese Regelungen auch Bestand haben sollten, falls die erwähnten Einrichtungen nicht mehr existieren sollten. Die Verpflegung bzw. Unterbringung sollte dann in einer vergleichbaren Institution eingerichtet werden.[23] Unklar bleibt zunächst, woher das Geld stammen sollte, das an die Hinterbliebenen auszuzahlen wäre. Insgesamt 510 Reichstaler sollten pro Jahr allein an seine Schwester, seine Nichte und seinen Neffen sowie die Witwe Müngersdorf gehen, zudem musste das Kost- und Unterbringungsgeld für die übrigen Verwandten aufgebracht werden. Der stets in finanziellen Nöten befindliche Wallraf wird kein ausreichendes Barvermögen hinterlassen haben. Vielmehr ist das gesicherte Auskommen seiner Familie wohl eine Voraussetzung und Bedingung dafür, dass die Stadt als Erbin seiner Sammlung eingesetzt wurde, ohne dass dies explizit Erwähnung im Testament gefunden hätte.

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Bereits kurz nach Inkrafttreten des Testaments versuchten auch andere Verwandte von Wallrafs Vermächtnis zu profitieren. Max Falcke, Schreiber, richtete ab August 1824 diverse Bittschreiben[24] an den Oberbürgermeister, um eine Anstellung zu erhalten. Dabei brachte er auch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Wallraf ins Spiel und legte gar einen vereinfachten Stammbaum[25] bei, der belegen sollte, dass seine Schwiegermutter, Maria Christina Wallraf, eine Cousine des verstorbenen Professors gewesen sei. Am 9. August 1824 führte der gut informierte Falcke aus: „Der verstorbene Professor Herrn Wallraf hat zwar ein Grad nähere Verwandten als meine Schwiegermutter, nemlich Schwesters Kinder hinterlaßen, denen ein jährliches Einkommen zugesichert ist; und weil des hochverdienten Oheimslinie dieses Glück nicht zu Theil geworden, so hoffe ich mit ganzer Zuversicht, daß Euer Wohlgeboren mir etwas Verdienst zukommen laßen werden […]."[26] Bis in den September 1826 war keine von Falckes Schriften erfolgreich.

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Bis weit über Wallrafs Tod hinaus machten auch Nachfahren der Familie Alexius Ansprüche geltend. Am 7. November 1886 verfasste Paul Alexius, „Rechtsconsulent“ aus Bensberg, ein Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Köln, in dem er darauf hinwies, ein Großneffe Wallrafs zu sein: „Wallraf war der Onkel meines sel. Vaters H. J. Alexius (Bruder dessen Mutter) […].“[27] Er wandte sich an den Bürgermeister, da er erfahren hatte, dass Wallraf in seinem Testament die Stadt „verpflichtet habe[], falls Verwandten von ihm es bedürften, und beanspruchten, eine jährliche und angemessene Unterstützung zu Theil werden zu lassen.[28] Als Beispiel führt er einen Neffen an, der „längere Jahre eine solche Unterstützung erhalten haben [soll]“ und betonte: „Da ich bereits 66 Jahre alt, kein Vermögen besitze und Jahre lang durch Familienkrankheiten viel gelitten, eine jährliche Unterstützung nicht zu versagen ist.“[29]

Stammbaum aus der (erfolglosen) Bittschrift Max Falckes
Bildnachweis: HAStK, Best. 610, A7, fol. 4, gemeinfrei

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Von Seiten der Stadt sagte man ihm die Einsichtnahme in das Testament zu. Wie der Fall weiter verlaufen ist, lässt sich nicht nachvollziehen. Allerdings wandte sich 13 Jahre später wiederum ein angeblicher Verwandter Wallrafs mit einer ähnlichen Forderung an die Stadt. Johann Radlinger aus Deggendorf beauftragte einen „Advokat Ploetz“ die Sache für ihn zu verfolgen. Eine Verwandtschaft mit Wallraf könne er „durch pfarramtliche Geburtszeugnisse nachweisen.“[30] Auch in diesem Fall war eine Einsicht des Testaments von Seiten der Stadt möglich. Die Formulierung der Antwort deutet aber vielleicht schon auf den Erfolg der Forderung hin: „Falls Ihr Auftraggeber Erbe des s. Wallraf zu sein glaubt, stelle ich Ihnen ergebenst anheim, sich eine beglaubigte Abschrift dieses Testaments von dem Nachfolger des Notars Merlo hierselbst ausfertigen zu lassen.“[31] Offenbar stellte man die Verwandtschaftsbeziehung in Frage.

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Das Verhältnis zum ersten angeblichen Erben scheint auf Grundlage der vorliegenden Quellen fragwürdig. In seinem Testament erwähnt Wallraf zumindest keinen Neffen, der die Initialen H. J. gehabt hätte. Erstaunlich ist dennoch, dass auch mehr als 60 Jahre nach dem Inkrafttreten des letzten Willens noch Forderungen gestellt wurden. Die Aussicht auf Erfolg scheint jedoch gering gewesen zu sein – erwähnte Wallraf doch alle potentiellen Erben namentlich und weitete das Erbe nicht auf eventuelle weitere Nachfahren aus.


Anmerkungen

[1] HAStK, Best. 1105 (Ferdinand Franz Wallraf), A 27 (Letztwillige Verfügungen), fol. 32v.

[2] Vgl. Bianca Thierhoff, Ferdinand Franz Wallraf – Ein Sammler des „pädagogischen Zeitalters“, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, S. 389–406, hier: S. 400.

[3] HAStK, Best. 1105, A 27, fol. 29v.

[4] Ebd., fol. 32v.

[5] Ebd., fol. 31r. Vgl. auch Thierhoff, Sammler (wie Anm. 2), S. 400.

[6] Vgl. Gunter Quarg, Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824), in: Gernot Gabel (Hrsg.), Kölner Sammler und ihre Bücherkollektionen in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln (Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln 13), Köln 2003, S. 11–19, hier: S. 16f; Joachim Deeters (Bearb.), Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, S. 109f.

[7] HAStK, Best. 1105, A 27, fol. 31v.

[8] Ebd.

[9] Vgl. ebd., fol. 32r.

[10] Vgl. z. B. Elga Böhm, Was ist aus Wallrafs Sammlung geworden?, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 36 (1974), S. 229–272, hier: S. 241; Bianca Thierhoff, Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824). Eine Gemäldesammlung für Köln, Köln 1997, S. 67f.; Deeters, Ausstellung (wie Anm. 6), S. 92f.; Paul Berthold Rupp, Die Bibliothek Ferdinand Wallrafs (1748–1824). Entstehung und Fortbestand, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 47 (1978), S. 47–114, hier: S. 78f.

[11] Vgl. HAStK, Best. 1105, A 27, fol. 27v.

[12] Nach seinem Tod stellte sich aber heraus, dass er offenbar keine entsprechenden Anweisungen gegeben hatte. Vgl. Beitrag Beerdigung.

[13] Vgl. HAStK, Best. 1105, A 27, fol. 29v.

[14] Vgl. ebd., 29v–31r.

[15] Ebd., fol. 26v.

[16] Vgl. ebd., fol. 29v.

[17] Ebd., fol. 30r.

[18] Ebd., fol. 30r–30v.

[19] Diesen Punkt hatte Wallraf im Entwurf nachträglich eingefügt. Vgl. ebd., fol. 25v.

[20] Ebd., fol. 30r.

[21] Ebd.

[22] Ebd.

[23] Vgl. ebd., fol. 30v–31r.

[24] Die Akte enthält drei Bittschriften, die wiederum Bezug auf mindestens vier weitere nehmen, die sich über einen Zeitraum vom 13. April 1824 bis 21. September 1826 erschrecken. Vgl. HAStK, Best. 610 (Wallraf-Richartz-Museum), A7 (Bittschriften Falckes).

[25] Vgl. ebd., fol. 4r.

[26] Ebd., fol. 3v.

[27] HAStK, Best. 608 (Kulturdezernat), A 163 (Wallrafs Testament), fol. 10.

[28] Ebd.

[29] Ebd.

[30] Ebd., fol. 11.

[31] Ebd., fol. 11v.

Empfohlene Zitierweise
Elisabeth Schläwe, „Zu ewigen Tagen“ – Wallrafs endgültiges Testament vom 9. Mai 1818, aus: Dies. / Sebastian Schlinkheider, Letzter Wille mit großer Wirkung – Die Testamente Ferdinand Franz Wallrafs (1748–1824) (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00003), in: mapublishing, 2018, Seitentitel: Testament 1818: „Zu ewigen Tagen“ (Datum des letzten Besuchs).