Editorial

An Ferdinand Franz Wallraf kommt man nicht vorbei – nicht, wenn man sich für die Geschichte des Sammelns im 18. Jahrhundert und der Französischen Revolution interessiert, und erst recht nicht, wenn man an der Kölner Universität zur Epoche der Frühen Neuzeit forscht und lehrt. Als ich nach fünfjähriger Tätigkeit als Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Paris im Herbst 2012 auf die Kölner Professur zurückkehrte, dauerte es bis zur Begegnung mit Wallraf nicht lange. Der erste Schritt einer Annäherung an den über die Grenzen Kölns hinaus bekannten Gelehrten, Sammler, Kulturpolitiker und Stadtreformer fand im WS 2014/2015 im Rahmen eines interdisziplinären Seminars statt. Mit dem Ziel des Wissenstransfers in eine breitere Öffentlichkeit wurde im Rahmen der Lehrveranstaltung gemeinsam mit Studierenden aus den Fächern Geschichte und Kunstgeschichte eine online-Publikation erarbeitet, über die das an der Universität gesammelte Wissen in die Stadt hinein getragen und auch über die Wissenschaft hinaus zugänglich gemacht werden konnte.

So entstand das Konzept „Wallraf digital“, das wir in den vergangenen drei Jahren im Sinne der Ausrichtung des Lehrstuhls – Erforschung der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Aufbau digitaler Kompetenzen bei jungen WissenschaftlerInnen und online Publizieren – immer stärker ausgeweitet, differenziert und weiterentwickelt haben: Die ersten, digital veröffentlichten Beiträge wurden sukzessive mit Videos, Quellentranskriptionen, einer Zeitleiste und einem regelmäßig aktualisierten Blog angereichert. Ein Team junger WissenschaftlerInnen konzipierte in diesem Kontext auch die Inhalte der App „Wallrafs Köln“, die es Einheimischen ebenso wie Touristen erlaubt, den Spuren Ferdinand Franz Wallrafs in der Stadt zu folgen – ein spannendes Experiment für alle Beteiligten. „Wallraf digital“ stieß bei den Kölner Kulturinstitutionen auf erfreuliche Resonanz und fungierte schließlich auch als Impulsgeber für ein Ausstellungsprojekt: Im Wallraf-Richartz-Museum läuft seit März 2018 unter dem Titel „Wallrafs Erbe. Ein Bürger rettet Köln“ eine große Ausstellung, die an Wallraf als unermüdlichen Sammler und eigentlichen „Gründervater“ der Kölner Museen erinnert. Der Zeitpunkt der Ausstellungseröffnung war keineswegs willkürlich gewählt, denn es gilt, ein Jubiläum zu feiern: Genau vor 200 Jahren, am 9. Mai 1818, unterzeichnete Wallraf das Testament, in dem er seine bedeutenden Kunst- und Büchersammlungen der Stadt Köln vermachte.

Aber was genau steht denn eigentlich in diesem berühmten Testament drin? Und warum gibt es mehr als eines, wie sich bei unserer biographischen Spurensuche herausstellte? Elisabeth Schläwe und Sebastian Schlinkheider, wissenschaftliche/r MitarbeiterIn am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit, haben die Fragen, auf die wir im Laufe unserer Diskussionen immer wieder gekommen sind, gerne aufgenommen und sich im Vorfeld des Jubiläums an die Erschließung und Erforschung der relevanten Quellen gemacht. Die mühselige Arbeit des Transkribierens hat sich aus unserer Sicht gelohnt: Aus den ersten Überlegungen und Diskussionen ist im Laufe der Monate eine digitale Publikation entstanden, die neue Erkenntnisse über Wallrafs letzten Willen liefert, einen „letzten Willen“, den er, um genau zu sein, drei Mal veränderte. Von der ursprünglichen Forschungsfrage über die Auswertung der Quellen bis hin zum Konzept und der Umsetzung einer Publikation der Ergebnisse, vor allem einer digitalen Publikation mit ihren besonderen medialen Anforderungen, ist es ein weiter Weg. Dass die „Testamente“ nun pünktlich zum Jubiläum in der vorliegenden Form erscheinen können, ist das Ergebnis strukturierter kreativer Prozesse und einer zielgerichteten Umsetzung. An dieser Stelle gilt ein besonderer Dank Christine Schmitt, die das gesamte Projekt in allen Phasen nicht nur konzeptionell maßgeblich begleitet, sondern auch den Projektverlauf gesteuert hat.

Das Konzept der Publikation zeichnet sich aus durch die Kombination wissenschaftlicher Beiträge mit umfangreichem digitalen Quellenmaterial. Es erprobt damit neue digitale Publikations- und Präsentationsformen und beinhaltet über die Beiträge hinaus:

  • die Digitalisate der drei Testamente Wallrafs
  • 14 weitere Quellen rund um den Tod und den Nachlass Wallrafs
  • 99 Detailseiten zu den Quellen mit zeilengenauer Transkription aller digitalisierten Handschriften mit Quellenzoom
  • Transkriptionen / Übersetzungen zum Download für die Leser
  • ein steuerbares „Quellenkarussell“ für den unmittelbaren Quellenzugang
  • Wallrafs Stimme, die seinen letzten Willen persönlich verkündet, als multimedialen Einstieg auf der Startseite.

Die vorgelegte Publikation ist die „Visitenkarte“ der Arbeit von Frau Schläwe und Herrn Schlinkheider und im Kontext von „Wallraf digital“ ein weiteres Beispiel einer digitalen Publikation zur Nachwuchsförderung auf der von der Universität zu Köln geförderten neuen wissenschaftlichen Publikationsumgebung www.mapublishing-lab.uni-koeln.de. Wir wünschen „bonne lecture“!

Prof. Dr. Gudrun Gersmann

Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln